Wer hat hier eigentlich das Sagen – die Menschen oder die Autos? Das kann man sich schnell fragen, wenn man an einer rauschenden Innenstadtkreuzung steht und die un-motorisierten Menschen sich auf einem 1,5-Meter-Restgehweg drängeln.
Auch Katja Diehl stellt diese Frage. Mit „Raus aus der Autokratie, Rein in die Mobilität von morgen“ hat die Autorin und Mobilitätswende-Expertin Katja Diehl ein zweites Buch vorgelegt, in dem sie den Status Quo der Mobilitätswende analysiert und einen Blick in die Zukunft wirft.
Das Wort „Autokratie“ ist spannend – schwingt dabei doch mit, dass nicht die Autos an sich das Problem sind, sondern ihre unterhinterfragte Dominanz und Herrschaft über Raum, Politik, Wünsche, Gedanken.
In ihrem Buch zitiert sie eine Vielzahl von Expert*innen. Zentrale Zitate kommen zum Beispiel Hermann Knoflacher, der mit dem „Virus Auto“ analysiert, wie tief Autos unsere Persönlichkeit „infizieren“, wie der Geschwindigkeits- und Stärkerausch dafür sorgt, dass nicht mehr wir, sondern „das Auto“ die Entscheidungen trifft.
Katja Diehl geht eine ganze Reihe von Problemlagen durch, wirklich spannend und nachvollziehbar ist dabei auch ihre Analyse, warum uns das „autonome Fahren“ nicht retten wird, sondern eingebettet sein muss in eine politische Strategie, wer Autos besitzen soll, welche Räume sie besetzen sollen oder nicht. Die Analyse reiht sich ein in einen schonungslosen, teils polemischen Blick (why not?) auf Pseudolösungen wie eFuels oder Flugtaxis, die primär als in die Zukunft verlängerte Phantastereien bereits heute umsetzbare Lösungen blockieren.
Fast Zweidrittel des Buches werden von dieser Problemanalyse eingenommen, im letzten Teil geht es dann um einen Blick nach vorne, bzw. in die „Innovationsnester“, in denen bereits heute Mobilitätswende gelebt wird.
Ein bisschen kurz kommt dabei, für meinen Geschmack, der Blick ins Ausland. Gerade beim Thema Mobilität hängen wir ja, in Deutschland, sicher zehn Jahre hinter Städten wir Paris und Barcelona, und sicher 40 Jahre hinter Kopenhagen und den niederländischen Städten hinterher. Deutsche Städte tun sich da ja schwer – so hat der ja sehr visionäre Belit Onay die SPD in Hannover als Koalitionspartner verloren und muss mühsam um Mehrheiten für die Verkehrswende werben, ähnlich wie Uwe Schneidewind in Wuppertal.
Trotzdem motiviert mich das Buch.
Natürlich sowieso für meine kommunalpolitische Arbeit – dort kümmere ich mich ja sowohl in der Bezirksvertretung und im Verkehrsausschuss viel um verkehrspolitische Themen. Viele Diagnosen des Buches bewegen sich zwar auf Bundesebene, treffen uns aber in der Kommunalpolitik auch, weil sie eben die Förderlandschaft und die rechtlichen Rahmenbedingungen der StVo bestimmen.
Auch in meiner Beratertätigkeit tauchen Mobilitätsthemen immer auf, auch nach meinem Abschied vom „Tag des guten Lebens“, der als autofreier Sonntag ja sehr nah dran ist an den Themen des Buches.
Wohlfahrtsträger zum Beispiel sind ganz vielfältig von der Mobilitätswende betroffen: Wie sollen Mitarbeitende in Zukunft an ihren Arbeitsplatz kommen? Und das auch pünktlich früh zum Schichtbeginn? Wie kommen Mitarbeitende in der aufsuchenden Arbeit zu ihren Klient*innen, egal ob in der häuslichen Pflege oder in der Arbeit mit Kindern, die den Schulbesuch verweigern? Und wie funktioniert das alles, wenn die Infrastuktur, egal für den Radverkehr oder Elektro-Autos, noch „hängt“?
Am meisten berührt haben mich übrigens die ersten fünf Seiten – und die letzten zwanzig, auf denen es um persönliche Erfahrungen einer gelungenen Mobilitätswende geht.
Vielleicht wird aus dem Ansatz, „Gelingendes und Gelungenes erzählen“, ja das nächste Buch?
Gelesen von Martin Herrndorf. Martin ist seit vielen Jahren im Colabor tätig, arbeitet freiberuflich in der Projektentwicklung und Beratung für Vereine und Wohlfahrtsträger und ist im Ehrenamt kommunalpolitisch tätig.
Das Buch „Raus aus der Autokratie!“ ist im F. Fischer-Verlag erschienen, ihr findet es überall im Buchhandel.
Katja Diehl wird auch beim RADKOMM.Talk am 30.08.2024 in Köln zu Besuch sein, organisiert vom RADKOMM e.V. und der Volksinitiative Aufbruch Fahrrad.